Die Thunderbolts sind zurück – kompromissloser, unberechenbarer und moralisch grauer denn je. Mit Das Böse im Visier präsentiert Panini eine brandneue Mission rund um Bucky Barnes alias Winter Soldier, der sich endgültig von seiner Vergangenheit als Werkzeug der Mächtigen lossagt und zum Anführer eines inoffiziellen Black-Ops-Superheldenteams wird. Wer hier klassische Heldenkost erwartet, wird enttäuscht – oder im besten Fall positiv überrascht.
Inhalt: Wenn der Zweck die Mittel heiligt
Bucky Barnes hat genug von halbherzigen Kompromissen und den Spielchen der Mächtigen. Seine neue Maxime: Gerechtigkeit um jeden Preis – notfalls auch mit Gewalt. Um einen finalen Schlag gegen den Superschurken Red Skull zu führen, stellt er ein Team zusammen, das ebenso entschlossen wie moralisch flexibel ist: Sharon Carter, Red Guardian, U.S.Agent, Shang-Chi, Black Widow, White Widow und die mysteriöse Contessa Valentina Allegra de Fontaine.
Es ist ein explosiver Mix aus Geheimagenten, Killern und Spionen – jeder mit eigener Agenda, Vergangenheit und Vertrauensproblem. Und als wäre das nicht genug, mischt auch Wilson Fisk mit, der einstige Kingpin, dessen politische Machenschaften und persönliche Rachegelüste das ohnehin instabile Gefüge des Teams gefährden.
Die Story, eingebettet in die Nachwirkungen von Devil’s Reign, ist nicht nur actiongeladen, sondern auch politisch aufgeladen. Die Autoren Jackson Lanzing und Collin Kelly (bereits bekannt durch Steve Rogers: Captain America) bauen auf moralische Ambivalenz, emotionale Zerrissenheit und interne Konflikte – das klassische Heldenbild wird zerlegt und durch eine Art notwendigen Nihilismus ersetzt.
Erzählweise und Charaktere: Düstere Grauzonen statt glorreiche Heldentaten
Was Das Böse im Visier auszeichnet, ist die konsequente Umsetzung einer Geschichte, in der es keine klaren Helden gibt. Bucky ist kein Captain America, sondern ein Soldat mit Schuldgefühlen und einem Rucksack voller Trauma. Die Autoren lassen ihn nicht als klassischen Anführer auftreten, sondern als Getriebener, der die Last der Welt auf seinen Schultern spürt – und sie in Blut bezahlen will.
Die Teamzusammenstellung ist mutig: Sharon Carter als pragmatische Strategin, der zynische U.S.Agent, Shang-Chi als moralisches Korrektiv – und Black und White Widow, deren gegenseitige Beziehung zwischen Respekt und Rivalität oszilliert. Besonders spannend ist die Rolle der Contessa, die als Manipulatorin im Hintergrund agiert und mehr weiß, als sie zugibt.
Zeichnungen und visuelle Umsetzung
Die visuelle Umsetzung durch Geraldo Borges (Nightwing) und Nico Leon (Miles Morales) passt perfekt zum düsteren Ton der Story. Borges' kantiger, harter Stil verleiht den Figuren Schwere und Präsenz, während Leons dynamischere Panels für die Actionsequenzen frische Energie einbringen. Die Farbgebung ist oft dunkel und geerdet – kein Glanz, kein Glamour, sondern Schmutz, Blut und Schatten.
Besonders hervorzuheben ist das Design der Einsätze: Militärisch, effektiv, fast schon taktisch kalt inszeniert. Explosionen, Nahkämpfe, strategische Infiltration – hier wird nicht posiert, sondern gehandelt. Und das spürt man.
Einordnung und Fazit
Thunderbolts – Das Böse im Visier ist keine einfache Lektüre – und das ist seine größte Stärke. Die Geschichte stellt Fragen nach Moral, Loyalität und Konsequenz in einer Welt, in der Gut und Böse längst keine klaren Kategorien mehr sind. Für Fans klassischer Heldenepen mag der Band eine bittere Pille sein. Für Leser:innen, die politische Intrigen, düstere Action und Antihelden mit Tiefe schätzen, ist er dagegen ein Volltreffer.
Die Integration von Devil’s Reign: Winter Soldier als Prolog ist ein kluger Schachzug, der Buckys Motivation greifbarer macht und die Entwicklungen glaubwürdig einleitet. Auch für Neueinsteiger ist der Band – trotz Verbindungen zu früheren Ereignissen – gut verständlich.
Fazit:
Ein knallharter, düsterer Thunderbolts-Comic mit einem traumatisierten Bucky Barnes als kompromisslosem Antihelden. Politisch, brutal und intelligent geschrieben – visuell kraftvoll in Szene gesetzt. Wer Marvel mal ohne Hochglanz und Pathos erleben will, sollte hier unbedingt zugreifen.
Für alle, die es moralisch grau, emotional komplex und actionreich mögen – ein empfehlenswerter Einstieg in die neue Ära der Thunderbolts.