Der Film „Der Geschmack von Leben“ von Roland Reber ist ein Werk, das sich mutig gegen erzählerische Konventionen stellt und sich irgendwo zwischen Satire, Essayfilm und erotischer Gesellschaftsstudie bewegt. Die Produktion der unabhängigen Münchner Filmkommune wtp international bleibt sich dabei treu: frei von Fördermitteln, spontan, gemeinschaftlich und kompromisslos kreativ.
Im Zentrum steht Nikki, gespielt von Antje Nikola Mönning, eine lebensfrohe Video-Bloggerin, die durchs Land fährt und Menschen mit ihren Geschichten einfängt. Für sie schmeckt das Leben nach Lust – und genau diese ungebremste Neugier auf menschliche Sehnsüchte, Schwächen und Tabus ist der rote Faden der „fi(c)ktiven Dramödie“. In assoziativer Collageform und mit einem spielerischen, teils provokanten Humor führt Reber Themen wie Sexualität, Religion, Scham, Konvention und Selbstbestimmung zusammen. Das Ergebnis ist eine kaleidoskopartige Betrachtung moderner Lebenswirklichkeit, die weder moralisiert noch zensiert, sondern spiegelt.
Formal bricht der Film mit klassischen Erzählstrukturen. Statt linearer Handlung bietet Reber eine Sammlung aus Begegnungen, performativen Momenten, Monologen und Videoblog-Sequenzen. Die Kamera von Mira Gittner wechselt bewusst zwischen hochwertiger Kinobildästhetik und digitaler Unmittelbarkeit, die an Selfie- und YouTube-Kultur erinnert. Dieses visuelle Spiel erzeugt Authentizität und verleiht dem Film den Charakter eines experimentellen Roadmovies über Lust, Selbstinszenierung und Freiheit.
Wie in früheren Arbeiten von Reber – etwa Illusion oder Engel mit schmutzigen Flügeln – entsteht die Produktion im engen Zusammenspiel von Regie, Ensemble und Technik. Teamwork wird hier wörtlich genommen: Drehbuch, Regie, Schauspiel, Schnitt und Musik verschmelzen zu einem Kollektivprozess, bei dem jeder Mitwirkende seine künstlerische Handschrift einbringt. So entsteht ein Werk, das trotz kleinem Budget ästhetisch und inhaltlich unverwechselbar ist.
Auf inhaltlicher Ebene ist „Der Geschmack von Leben“ gleichermaßen verspielt wie subversiv. Die Szenen changieren zwischen Predigt, Sketch, Musikvideo und Gesellschaftssatire. Mal wirkt der Film wie eine philosophische Talkshow, mal wie eine erotische Farce. Doch unter der heiteren Oberfläche steckt ein ernstes Anliegen: die Befreiung von Schuldgefühlen, das Recht auf Selbstbestimmung und die Akzeptanz menschlicher Widersprüche. Besonders Mönning verleiht ihrer Rolle eine entwaffnende Ehrlichkeit, die den Zuschauer zwingt, eigene moralische Grenzen zu hinterfragen.
Die Blu-ray-Veröffentlichung von WTP International (ab Oktober 2018) präsentiert den Film in gestochen scharfer 2K-Abtastung im CinemaScope-Format (1:2,39) mit Dolby-SR-Ton und einer Laufzeit von 88 Minuten. Das Bild überzeugt durch klare Kontraste und lebendige Farben, die den Wechsel zwischen sinnlicher Intimität und ironischer Überzeichnung wirkungsvoll transportieren. Das Bonusmaterial spiegelt die Philosophie der Produktionsfirma wider: Neben Interviews, Making-of-Material und Festival-Impressionen finden sich Einblicke in den kollaborativen Entstehungsprozess, der den Film überhaupt erst möglich machte.
„Der Geschmack von Leben“ ist kein leichter Film, aber ein ehrlicher. Er provoziert, amüsiert, irritiert – und vor allem inspiriert er dazu, das eigene Leben bewusster zu schmecken. Weder Kunstkino noch reine Provokation, sondern ein wilder, libertärer Aufruf zur Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter. Wie die Pressezitate treffend formulieren: ein „frecher, unabhängiger, wilder Mix“ und ein „kühnes Plädoyer dafür, sich nicht zu verbiegen“.
Damit setzt Reber seinem Lebensmotto erneut ein filmisches Denkmal: Kino als Raum der Freiheit. Die Blu-ray von WTP International fängt diesen Geist in bester Qualität ein – ein Stück kompromisslos unabhängiges Kino, das man nicht konsumiert, sondern erlebt.