Lamont Johnsons Ausgeliefert (Originaltitel You’ll Like My Mother, 1972) ist ein atmosphärisch dichter Psychothriller, der nach wie vor zu den unentdeckten Perlen des amerikanischen Kinos der frühen Siebziger zählt. Die Geschichte beginnt mit einer schlichten, aber zutiefst emotionalen Prämisse: Nach dem Tod ihres Mannes im Vietnamkrieg reist die hochschwangere Francesca Kinsolving, gespielt von Patty Duke, in ein abgelegenes, verschneites Dorf in Minnesota, um Trost bei der ihr noch unbekannten Schwiegermutter zu finden. Doch anstatt auf Mitgefühl und Wärme zu stoßen, wird sie mit abweisenden Blicken, verschlossenen Türen und einer unheimlichen Atmosphäre konfrontiert. Das große Haus, in dem sie Zuflucht sucht, entpuppt sich bald als ein Ort voller Bedrohung und dunkler Geheimnisse. Je länger Francesca dort bleibt, desto klarer wird: In dieser Familie stimmt etwas ganz und gar nicht – und der Weg hinaus scheint zunehmend versperrt.
Der Film entfaltet seine Spannung mit bemerkenswerter Geduld. Johnson verzichtet weitgehend auf plakative Schockeffekte und verlässt sich stattdessen auf subtile Andeutungen, schleichende Bedrohungen und eine stetig wachsende Beklemmung. Die verschneite Winterlandschaft Minnesotas wird dabei zu einem wesentlichen Teil der Erzählung – sie wirkt gleichzeitig schön und tödlich, wie eine kalte Falle, aus der es kein Entkommen gibt. Diese Mischung aus äußerer Isolation und innerer Verzweiflung zieht sich als Leitmotiv durch den gesamten Film und verstärkt den psychologischen Druck, dem die Hauptfigur ausgesetzt ist.
Patty Duke trägt den Film nahezu allein. Ihre Darstellung der jungen, verletzlichen, aber zugleich entschlossenen Frau ist eindringlich und glaubwürdig. Sie schafft es, den Schmerz über den Verlust ihres Mannes und die zunehmende Angst vor den Ereignissen im Haus glaubhaft zu verbinden. Rosemary Murphy als undurchsichtige Schwiegermutter verkörpert Kälte und Härte, ohne jemals ins Übertriebene zu kippen. Richard Thomas und Sian Barbara Allen ergänzen die Besetzung solide und bringen zusätzliche emotionale Spannung in das Geschehen. Besonders auffällig ist, wie Johnson seine Figuren zeichnet: Niemand ist hier eindeutig gut oder böse, alle scheinen etwas zu verbergen. Dieses Spiel mit moralischer Ambivalenz macht Ausgeliefert zu mehr als einem simplen Thriller – es ist ein psychologisches Kammerspiel über Misstrauen, Trauer und den Verlust von Sicherheit.
Zwar ist das Erzähltempo gemessen an heutigen Sehgewohnheiten langsam, doch gerade das verleiht dem Film seine Wirkung. Der Spannungsaufbau ist klassisch, fast altmodisch – im besten Sinne. Die Bedrohung kommt schleichend, aus kleinen Momenten der Unsicherheit, aus Blicken, aus dem Schweigen zwischen den Figuren. Erst spät entlädt sich die Spannung in einem beklemmenden Finale, das weniger auf Überraschung setzt als auf emotionale Intensität. Einzig erfahrene Thrillerfans werden manche Wendung früh erahnen, was jedoch der Wirkung kaum schadet.
Mit der neuen Blu-ray-Veröffentlichung von OneGate Media erlebt der Film nun seine Deutschlandpremiere in HD – ein erfreuliches Ereignis, das diesem lange unterschätzten Werk endlich die verdiente Aufmerksamkeit verschafft. Das Bild liegt im originalen Kinoformat 1,85:1 vor und zeigt eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Fassungen. Die verschneiten Außenaufnahmen wirken klarer und kontrastreicher, während die Innenräume an Detailtiefe gewonnen haben. Man erkennt in dieser Ausgabe, wie bewusst Johnson mit Licht und Schatten gearbeitet hat: Das matte Winterlicht, die dunklen Holzwände, die unheilvollen Schatten im Haus – all das kommt hier erstmals in angemessener Qualität zur Geltung.
Auch der Ton macht einen guten Eindruck. Die DTS-HD-Master-Audio-Spur (in Deutsch und Englisch, jeweils 2.0 Stereo) sorgt für eine klare Wiedergabe der Dialoge und eine saubere Balance zwischen Sprache, Musik und Hintergrundgeräuschen. Da der Film ohnehin keine spektakulären Soundeffekte nutzt, sondern stark auf seine leise, klaustrophobische Stimmung setzt, passt diese Tonspur perfekt zum Charakter des Werks. Leider wurden keine Untertitel beigelegt, was insbesondere für Hörgeschädigte oder Originaltonliebhaber ein Wermutstropfen ist.
Trotz kleinerer Einschränkungen in der Ausstattung kann die Blu-ray insgesamt überzeugen. Sie präsentiert Ausgeliefert so, wie man ihn bislang noch nie in Deutschland sehen konnte – in würdiger Bild- und Tonqualität, ohne Kürzungen und mit einer Sorgfalt, die man bei älteren Filmen dieser Art nicht immer erwarten darf. OneGate Media beweist damit ein gutes Gespür für die Wiederentdeckung vergessener Filmjuwelen und ermöglicht es, diesen intensiven, unheimlich stillen Thriller neu zu erleben.
Ausgeliefert ist kein Film, der laut oder spektakulär ist. Er wirkt vielmehr durch seine subtile Spannung, seine bedrückende Atmosphäre und das starke Spiel seiner Hauptdarstellerin. Wer klassische, psychologisch geprägte Thriller liebt, in denen Isolation, Misstrauen und unterdrückte Angst die Hauptrolle spielen, wird hier fündig. Die Blu-ray-Premiere macht diesen Film endlich wieder zugänglich – und zeigt, dass er auch über fünfzig Jahre nach seiner Entstehung nichts von seiner beklemmenden Wirkung verloren hat.