Mit Ellis legt Edel Motion eine Krimiserie vor, die sich bewusst von der Masse absetzt – durch eine kompromisslose Hauptfigur, realistische Tonalität und die konsequente Behandlung gesellschaftlich relevanter Themen. Die britische Produktion, die im Fernsehen auf Anhieb hohe Einschaltquoten erzielte und nun auf DVD erschienen ist, kombiniert klassische Ermittlungsarbeit mit psychologischer Präzision und einer klaren Haltung.
Sharon D Clarke, bekannt aus Doctor Who und Rocketman, verkörpert DCI Ellis als Mischung aus Schärfe, analytischer Brillanz und untergründiger Empathie. Ellis ist nicht die glattpolierte „Superpolizistin“, sondern eine Frau, die gelernt hat, sich gegen Widerstände durchzusetzen – als schwarze Frau mittleren Alters in einer Männerdomäne oft unterschätzt, gelegentlich offen angefeindet. Clarke verleiht ihr eine Präsenz, die sowohl Respekt einfordert als auch verletzliche Momente zulässt. Kein Wunder, dass The Times sie als „Königin der vernichtenden Blicke“ bezeichnet – ihre Mimik allein erzählt oft mehr als ein ganzer Dialog.
An Ellis’ Seite steht DS Chet Harper, gespielt von Andrew Gower (Outlander, Poldark). Die erste Begegnung der beiden ist symptomatisch für die Themen der Serie: Harper übersieht Ellis im Warteraum und fragt eine weiße Frau nach der „DCI Ellis“ – ein unbewusster, aber entlarvender Moment, der Alltagsrassismus sichtbar macht. Aus diesem peinlichen Fehlstart entwickelt sich jedoch eine Partnerschaft, die auf gegenseitigem Respekt und Ergänzung basiert. Die Chemie zwischen Clarke und Gower ist glaubwürdig, humorvoll und zugleich von unterschwelliger Spannung geprägt.
Die erste Episode, „Tödliche Vorurteile“, führt in diese Dynamik ein. Ein Mordfall an einer jungen Frau stagniert seit Monaten, und das örtliche Team – geprägt von Hierarchiedenken und Machoattitüde – sieht in Ellis eher eine Störung als Hilfe. Die Spannung entsteht weniger aus dem klassischen „Wer war’s?“ als aus der Frage, wie Ellis die Widerstände durchbricht. Mit forensischer Akribie, psychologischem Gespür und gezielten Konfrontationen zwingt sie die Wahrheit ans Licht. Am Ende steht kein glatter Triumph, sondern die ernüchternde Erkenntnis, dass selbst bei gefundenem Täter Gerechtigkeit unvollständig bleiben kann.
In „Unter Verdacht“ verdichtet sich die moralische Schärfe. Neue Indizien lassen einen alten Missbrauchsfall in neuem Licht erscheinen, und Ellis erkennt, dass möglicherweise hochrangige Kollegen tief verstrickt sind. Sie zeigt hier ihre moralische Kompromisslosigkeit und riskiert Ansehen und Karriere, um das Schweigen zu brechen. Besonders eindrucksvoll ist eine Szene, in der sie einen Vorgesetzten allein durch Blick und Haltung entlarvt – ein Paradebeispiel für Clarkes nonverbale Kraft. Das Ende verzichtet auf einfache Katharsis: Es gibt eine Verhaftung, doch das System, das den Täter lange schützte, bleibt bestehen.
Der Abschluss, „Virtuelle Schatten“, verlagert den Konflikt in die digitale Sphäre. Ein Mordfall wird von selbsternannten Internet-„Ermittlern“ verzerrt, Verdächtige werden öffentlich diffamiert, Beweise zerstört. Ellis kämpft nicht nur um die Aufklärung, sondern auch um die Kontrolle über die öffentliche Erzählung – ein hochaktueller Konflikt in Zeiten sozialer Medien. Die Partnerschaft mit Harper erreicht hier ihren Höhepunkt: eingespielt, loyal, aber weiterhin voller Reibungspunkte. Das Ende ist bitter-süß: Der Täter wird gefasst, doch das durch Online-Hetze zerstörte Leben eines Unschuldigen bleibt irreparabel beschädigt.
Die drei Episoden bilden einen klaren dramaturgischen Bogen. Die erste Folge etabliert Figuren und Grundkonflikte, die zweite vertieft die moralische Dimension und zeigt Ellis als Systemkritikerin, die dritte öffnet den Blick auf gesellschaftliche Dynamiken jenseits der klassischen Polizeiarbeit. Ellis geht es nicht um spektakuläre Wendungen oder Action, sondern um den Kampf um Wahrheit in einem Umfeld, das von Macht, Vorurteilen und Bequemlichkeit geprägt ist. Jede Folge verweigert eine rein „glatte“ Auflösung – ein Alleinstellungsmerkmal im oft formelhaften Krimigenre.
Obwohl im Drehbuch der Peak District als Schauplatz dient, wurde in Nordirland gefilmt. Die Landschaften – sanfte Hügel, dramatische Wolken, städtische Kulissen mit Blick ins Grüne – schaffen eine visuelle Mischung aus rauer Schönheit und unterschwelliger Bedrohung. Clarke und Gower schwärmen in Interviews von den Drehorten, auch wenn Gower lachend anmerkt, man habe dort „mehr nasse Jahreszeiten“ entdeckt, als man kannte.
Neben Clarke und Gower überzeugt ein vielfältiges Ensemble, das gesellschaftliche Breite glaubhaft darstellt. Die Nebenrollen sind hochkarätig besetzt, darunter bekannte Gesichter aus Coronation Street, EastEnders oder Emmerdale. Diese Diversität wirkt nicht aufgesetzt, sondern ist organisch in Handlung und Themen eingebunden. Über die drei Folgen hinweg verändert sich Ellis subtil. Anfangs wirkt sie bewusst unnahbar, ihre Körpersprache ist kontrolliert, fast abweisend – ein Schutzmechanismus. In der Mitte der Staffel zeigt sie in Momenten der Zusammenarbeit mit Harper erstmals spontane Wärme und stilles Einverständnis. Am Ende sieht man, wie sie in entscheidenden Szenen Blickkontakt hält, länger zuhört und kurze Gesten des Respekts zeigt – kleine Öffnungen, die andeuten, dass sie im Team auch Vertrauen zulassen kann, ohne ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Sharon D Clarke gestaltet diese Entwicklung fast ausschließlich über Nuancen: ein leichtes Kopfnicken, eine minimal längere Pause vor einer Antwort, eine Veränderung im Blick. Das macht Ellis nicht nur als Figur glaubwürdig, sondern lässt sie auch langfristig interessant.
Ellis ist ein Krimi mit Haltung – packend, pointiert und politisch klug. Wer Happy Valley oder Broadchurch mag, aber noch mehr Wert auf Diversität, psychologische Tiefe und gesellschaftliche Relevanz legt, wird hier fündig. Die drei Fälle der ersten Staffel sind spannend, komplex und von einer Hauptdarstellerin getragen, die jeder Szene Gewicht verleiht. Das Ergebnis ist ein starker Auftakt mit Charakter, Tiefgang und Relevanz, der nicht nur Lust auf die zweite Staffel macht, sondern auch zeigt, wie frisch das britische Krimigenre noch sein kann.