Roland Rebers Film Mein Traum oder Die Einsamkeit ist nie allein ist ein außergewöhnliches Werk zwischen Theater, Philosophie, Medienkritik und surrealem Kinoexperiment. 2007 unter völliger Unabhängigkeit von Fördergeldern produziert, entstand ein Film, der sich jedem gängigen Erzählmuster verweigert und stattdessen zum assoziativen, fast traumartigen Erlebnis wird. Reber beschreibt selbst, dass der Film „in einer Nacht spielt, in der der Mann sein Leben reflektiert“ – eine Nacht, die selbst ein Traum sein könnte.
Im Mittelpunkt steht ein namenloser Mann (Wolfgang Seidenberg), der aus seinem Leben ausbricht. Er verlässt seine Frau, seine Geliebte und die monotone Routine, die ihn wie ein Hamsterrad gefangen hält. Auf einem verlassenen Fabrikgelände begegnet er der rätselhaften Godot (Mira Gittner), einer Frau, die in der Kanalisation und im Abfall der Stadt nach Zeichen und Bedeutung sucht. Mit ihr beginnt der Mann eine Reise durch die Nacht – und durch die Eingeweide seines eigenen Bewusstseins. Der Film folgt keiner linearen Handlung, sondern springt zwischen Realität, Traum und grotesken Mediensatiren.
Reber nutzt dabei die gesamte Bandbreite der modernen Unterhaltungskultur als Spiegel menschlicher Verlorenheit: Talkshows, triviale Gameshows, absurde Werbespots und Märchenparodien bilden den Rahmen für die Gedankenwelt des Mannes. Die Bilder wechseln von klaustrophobisch-düster zu bizarr-komisch, immer begleitet von der Frage nach dem Sinn, nach Identität und Freiheit. Der Film versteht das Leben als Showbühne, auf der jeder seine Rolle spielt – ob freiwillig oder nicht.
Die Inszenierung bewegt sich bewusst zwischen Drama, Komödie und groteskem Surrealismus. Reber bezeichnet seine Arbeit treffend als „Dramödie“ – eine Mischung aus Tragödie und Ironie, in der der Zuschauer zwischen Lachen und Nachdenken schwankt. Die Schauspieler, viele davon langjährige Weggefährten des Regisseurs, tragen wesentlich zum Charakter des Films bei. Wolfgang Seidenberg überzeugt als gequälter Sinnsucher, Mira Gittner als geheimnisvolle Führerin durch den Unrat des Lebens. Marina Anna Eich, Sabrina Brencher, Torsten Münchow und Wolfram Kunkel fügen sich nahtlos in das Ensemble ein und verkörpern die widersprüchlichen Figuren, die aus der Erinnerung und dem Unterbewusstsein des Mannes auftauchen.
Visuell ist Mein Traum oder Die Einsamkeit ist nie allein ein Experiment: Simultanbilder, theatralische Kulissen und surreale Farbkompositionen verbinden sich zu einer Collage, die den Zuschauer auffordert, selbst zu wählen, worauf er seine Aufmerksamkeit richtet. Damit bricht Reber mit der passiven Sehhaltung des klassischen Kinos und verwandelt den Film in einen interaktiven Denkprozess. Auch die Musik – komponiert und eingespielt von Wolfram Kunkel – ist mehr als bloße Untermalung. Bordunartige Töne schaffen einen akustischen Raum, der die Gedankenschleifen des Protagonisten widerspiegelt.
Inhaltlich ist der Film zugleich Selbstfindungstrip und Medienschelte. Reber kritisiert die Überflutung durch triviale Fernsehformate, die unsere Wahrnehmung abstumpfen lassen, und konfrontiert den Zuschauer mit einer Gesellschaft, die Sinn und Echtheit durch Inszenierung ersetzt. „Das Leben als Inszenierung“ – so nennt es das Presseheft, und genau das ist der Kern des Films: ein Spiegel der medialen und seelischen Selbstentfremdung.
Wie viele Filme Rebers endet auch Mein Traum oder Die Einsamkeit ist nie allein offen. Der Mann verschwindet am Ende einfach aus dem Bild – eine symbolische Geste, die den Zuschauer mit sich selbst zurücklässt. Reber verweigert jede eindeutige Botschaft, weil, wie er selbst sagt, „ich keine Antworten habe, also tue ich nicht so, als hätte ich welche.“
Mein Traum oder Die Einsamkeit ist nie allein ist kein leichter Film. Er fordert Aufmerksamkeit, Geduld und Bereitschaft zum Mitdenken. Wer konventionelles Unterhaltungskino erwartet, wird scheitern; wer sich jedoch auf das Experiment einlässt, erlebt eine tiefgründige, manchmal verstörende, oft poetische Reise in die Absurditäten des modernen Lebens. Zwischen Medienkritik, Philosophie und schwarzem Humor entfaltet Reber ein Werk, das provoziert, polarisiert und diskutiert werden will – ein echtes Stück Independent-Kino, fernab vom Mainstream, roh, ehrlich und kompromisslos.