John Schlesingers Darling ist ein schillerndes Porträt der Swinging Sixties – eine Ära, in der alles möglich schien und vieles hohl war. In seinem Oscar®-prämierten Drama erzählt Schlesinger die Geschichte von Diana Scott, einem jungen Fotomodell, das den kometenhaften Aufstieg in der Londoner Gesellschaft schafft – auf Kosten von Integrität, Identität und Glück. Die brillante Julie Christie verkörpert diese Figur mit einer Mischung aus verletzlicher Eleganz und berechnender Kälte, flankiert von einem hervorragenden Dirk Bogarde. Das Ergebnis ist ein Klassiker des britischen Kinos, der nun von Studiocanal in einer sorgfältigen 4K-Restaurierung wiederentdeckt werden kann.
Julie Christie als Diana Scott – Die verführerische Leere
Julie Christie, geboren 1940 in Indien, wurde mit Darling endgültig zur internationalen Leinwandikone. Ihre Darstellung der Diana Scott ist eine Meisterleistung an Ambivalenz. Christie verleiht der Figur Tiefe, indem sie sie nicht als reine Karrieristin, sondern als emotionale Getriebene anlegt – stets auf der Suche nach Anerkennung, Liebe, Selbstverwirklichung. Ihre Blicke verraten mehr als jedes gesprochene Wort: Unsicherheit, Verachtung, Euphorie und Langeweile wechseln sich innerhalb eines Moments ab. Diana lebt in den Fassaden, die sie selbst errichtet – und Christie gelingt es, genau das sichtbar zu machen. Ihre Leistung wurde 1966 mit dem Oscar® als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, ein historischer Moment nicht nur für sie, sondern für das britische Kino insgesamt.
Dirk Bogarde als Robert Gold – Der desillusionierte Intellektuelle
Dirk Bogarde, einer der elegantesten und subtilsten Schauspieler seiner Generation, verkörpert den Fernsehjournalisten Robert Gold mit einer untergründigen Melancholie. Geboren 1921, hatte Bogarde in den 50er Jahren mit kommerziellen Rollen begonnen, bevor er sich bewusst anspruchsvollen Figuren widmete – Darling war dabei ein Schlüsselfilm. Robert ist ein Intellektueller, der Diana anfangs fasziniert bewundert, später aber zunehmend unter ihrer Egozentrik leidet. Bogarde spielt diese Wandlung mit minimalistischem Ausdruck – ein müdes Lächeln, ein resignierter Blick. Er steht für eine Generation von Männern, die die Welt begreifen wollen, während sie sich ihnen entzieht.
Drehbuch von Frederic Raphael – Das gläserne Labyrinth
Frederic Raphael, der für Darling den Oscar® für das Beste Originaldrehbuch erhielt, schrieb ein Script, das mit satirischer Präzision und psychologischer Tiefe besticht. Besonders bemerkenswert ist die Konstruktion der Erzählung: Sie verzichtet auf klassische Heldenreisen oder moralische Auflösungen. Stattdessen zeigt Raphael das Leben als gläsernes Labyrinth, in dem sich Diana selbst verliert – nicht durch große Schicksalsschläge, sondern durch eine Kette scheinbar kleiner, aber entscheidender Entscheidungen. Das Drehbuch ist voll pointierter Dialoge, die gleichermaßen entlarvend wie unterhaltsam sind. Es gibt keine eindeutigen Sympathieträger, keine einfachen Wahrheiten – stattdessen eine Welt voller Spiegel, Fassaden und Projektionen.
Ein Beispiel: Als Diana nach einem weiteren Sprung auf der gesellschaftlichen Leiter merkt, dass sie sich emotional isoliert hat, fragt sie fast kindlich: „Why am I always in the wrong place at the wrong time?“ – eine schlichte Zeile, die aber tief blicken lässt: Diese Figur sieht sich als Opfer des Umfelds, obwohl sie selbst die Fäden zieht.
Die neue 4K-Veröffentlichung von Studiocanal – Arthaus-Edition mit Substanz
Die von Studiocanal im Label Arthaus veröffentlichte 4K-Restaurierung lässt Darling in neuem Licht erstrahlen. Die Bildqualität ist beeindruckend: Das Schwarzweißmaterial wirkt frisch, mit nuancenreichen Graustufen, feiner Körnung und ausgezeichnetem Kontrastverhältnis. Besonders in Innenaufnahmen – etwa in den schicken Londoner Apartments oder Pariser Ateliers – fällt die neue visuelle Klarheit positiv auf. Auch der Ton wurde säuberlich restauriert; die Dialoge sind klar verständlich, Musik- und Umgebungsgeräusche authentisch balanciert.
Die Edition enthält sowohl die 4K-UHD als auch die Blu-ray und richtet sich damit an Sammler wie auch an reguläre Zuschauer.
Bonusmaterial – Zeitgeist, Kontext, Reflexion
Das Bonusmaterial bietet eine willkommene Vertiefung:
Sofia Coppola über Darling: Die US-Regisseurin reflektiert die Wirkung des Films auf ihr eigenes Schaffen (Lost in Translation, Marie Antoinette) – besonders hinsichtlich weiblicher Isolation in prachtvoller Umgebung.
Interview mit Frederic Raphael: Spannende Einblicke in die Drehbucharbeit, den Produktionsprozess und die Zusammenarbeit mit Schlesinger.
Featurette „After a Fashion“: Eine stilistische Analyse der Mode im Film, die den Zeitgeist visuell widerspiegelt.
Bildergalerien und Trailer: Für Sammler und Cineasten eine schöne Ergänzung.
Booklet: Mit filmwissenschaftlich fundierten Texten zur Rezeption und zum Einfluss des Films – sehr hochwertig gestaltet.
Fazit
Darling bleibt ein Meisterwerk des britischen Kinos – klug, elegant, unbarmherzig. Die Geschichte von Diana Scott ist heute aktueller denn je: Sie erzählt von Selbstinszenierung, toxischer Selbstoptimierung und der Suche nach Echtheit in einer Welt voller Schein. Julie Christie und Dirk Bogarde brillieren in einer Inszenierung, die gleichzeitig stilvoll und sezierend ist. Die 4K-Restaurierung von Studiocanal macht diesen Film wieder erfahrbar – in bestechender Bildqualität und mit wertvollem Kontextmaterial.
Ein unverzichtbares Stück Filmgeschichte, neu entdeckt für das digitale Zeitalter.